Sie waren Kneipenbekanntschaften, die sich neckten und auch mal unter der Gürtellinie angriffen, sich intime Dinge verrieten, die sie sonst lieber für sich behielten. Am Tresen wurde eben alles diskutiert, sich zusammen amüsiert und gemeinsam die Zeit totgeschlagen.
Da gab es den Schreinermeister Edmund, der mit Ende 30 noch mit seiner Mutter im Elternhaus wohnte – im Hotel Mama. Wenn er mal etwas von sich preisgab, schwafelte er von seiner angeblichen Bisexualität oder stritt sich mit Kunibert, einem Gymnasiallehrer für Französisch und Wirtschaft, der auf dunkelhäutige Männer stand und steif und fest behauptete, mit Weißen nichts mehr anfangen zu können. Beide, Ed und Kuni, zögerten mit ihrem Coming-Out ganz im Gegensatz zum portugiesischen Koch Raul, der nichts anbrennen ließ. Er trug immer ein Lächeln auf den Lippen und selbst nach zwölf Jahren Franken noch einen starken Akzent auf der Zunge.
Ihr gemeinsamer Feind war die Langeweile, das Alleinsein, die Routine. Heimlich lästerte die Zweckgemeinschaft über ihre Stammkneipe und wünschte sich mehr Abwechslung bei der Abendgestaltung. Auf ihre eigene kauzige Art kümmerten sie sich auch umeinander. Sie saßen eben im selben Boot, es gab halt nur das »Pausenstübla«, weil ins hippe »Rainbow« – die vor wenigen Monaten neueröffnete zweite Gaybar der Stadt – wollte niemand. Dort fehlte es an Gemütlichkeit, dort tummelte sich nur junges Gemüse, dort kam man sich bewertet vor.
Hier im »Pausenstübla« fühlten sie sich sicher und weit weg von gekünstelter Coolness und übertriebener Dramatik. Hier fiel wenigstens mal ein wahres Wort. Das hier war ihr Wohnzimmer.
Bernd, ein talentierter Fotojournalist beim Regionalblatt »Fränkischer Tag« war mit Mitte 20 der Jüngste der bunten Truppe und kam meistens in Begleitung seines besten Freundes Jeremy. Der gebürtige Berliner arbeitete als Schauspieler am Stadttheater, genoss seinen preußischen Sonderstatus und zwitscherte sich gerne mit anderen Nachtvögeln einen an.
Mit der in der Provinz nötigen Portion Humor warteten diese fünf auf ihren Dörnröschenkuss und hofften, dass ihr Märchenprinz auf dem leeren Hocker neben ihnen Platz nehmen würde. Jedes Mal, wenn die Türklinke quietschte, rissen sie ihren Blick zum Eingang oder beobachteten zumindest aus den Augenwinkeln, wer da wohl über die Schwelle trat.
Besonders jetzt nach einem langen Winter, im Wonnemonat Mai ödete sie die Eintönigkeit ihres Daseins an und sie sehnten sich nach Unterhaltung und Geselligkeit, vielleicht sogar nach einem Flirt, einfach mal ein wenig Glück bei der Suche nach ihrem Traummann.
Bei Manfred – dem letzten im Bunde und von allen Freddy genannt –, sah die Sache etwas anders aus. Der ehemalige Fliesenleger war ein paar Lenze älter als der Rest und seit Jahren Privatier. Er tat sein Bestes dazuzugehören, kam aber eigentlich nur ins »Pausenstübla«, um die Wirtin anzuhimmeln.
Allein durch ihre vollschlanke Statur verschaffte sich Mary Respekt. Sie hatte ein offenes Ohr für ihre Jungs. Auch, wenn das Gehörte oft zum anderen Ohr gleich wieder hinausging.
Ich gebe es ja zu, in Bamberg einen vernünftigen schwulen Mann kennenzulernen, einen Lebenspartner gar, war zwar nicht so ausgeschlossen wie einen Topf mit Gold am Ende des Regenbogens zu finden, aber – ich sage mal – kompliziert.
Das Wichtigste ist, du bleibst positiv, ein Optimist wie ich. Du siehst den Silberstreif am Horizont und hast ein bisschen Vertrauen, dass auf Regen Sonnenschein folgt.
Oh weh, ich klinge ja schon wie ein billiger Schlagertexter. Aber glaube mir, ich versuche nur, eure Leben auf Wege der Liebe zu lenken. Und ich verspreche – hoch und heilig – wenigstens einer der sechs Stammgäste wird am Ende unserer Geschichte einen passenden Deckel gefunden haben.
Wie es so meine Art ist, werde ich mich mit Kommentaren zurückhalten, mich kurzfassen und nur im Notfall wieder zu Wort melden. Wenn Erklärungsbedarf besteht, für einen kleinen Exkurs oder einfach um die Schönheit der Schöpfung zu loben.
Der Frühling hielt Einzug ins Frankenland. Der Spargel wuchs, die Hummeln brummten, ein einziges Sprießen und Summen. Auch die Tauben turtelten schon. Die Wetteraussichten für die kommenden Tage waren rosig; mit vereinzelten Schauern in der zweiten Wochenhälfte.
Aber egal, legen wir los. Bamberg, nachts, in einer Schwulenkneipe, Mitte Mai 2005. Als sich langsam alles online verlagerte, Mobiltelefone in den Mittelpunkt rückten und die Digitalkameras erkennbar schrumpften.
Um ehrlich zu sein, kommt es mir so vor, als wäre es gestern gewesen.
Discomusik dudelte aus einer betagten Stereokompaktanlage in Nussbaumoptik.
»Wo ise das nochema?«, fragte eine Männerstimme mit portugiesischem Akzent. Ein Zeigefinger deutete auf den Bildschirm einer digitalen Spiegelreflexkamera, die auf dem Tresen lag. Das Foto zeigte einen Autobahnrastplatz am Waldrand, ein Klohäuschen und einige auffallend abseits geparkte Pkw.
»An der A70. Nach der Ausfahrt Roßdorf«, antwortete Florian. Er drückte auf einen der Menüknöpfe und öffnete das nächste Bild.
»So zehn Kilometer hinter Scheßlitz«, ergänzte eine andere Männerstimme. »In beide Richtung-«, die Stimme stockte. »Also, ähm, hat Hansi mir erzählt«.
»Auf einer öffentlichen Toilette? Würde ich nie machen.«
»Des is pervers«, bekräftigte Edmund Kuniberts Aussage.
»Das ist doch nur was für Verlierer.«
»Widerlich«, empörten sich die beiden abwechselnd.
»Welche Ausfaht nochema?«, fragte Raul.
Eine stark geschminkte Frau Mitte Fünfzig stand hinter der Bar und entzündete eine Zigarette. Sie verschränkte die Arme vor ihrer stattlichen Oberweite und warf einen skeptischen Blick auf ihre Stammgäste. Wie aufgereiht saßen sie da – Jeremy neben Florian, Raul stand zwischen den beiden, dann Edmund und Kuni –, sie lehnten sich zum Kameradisplay und hielten sich an ihren Gläsern fest. Nur Freddy hockte desinteressiert neben dem Eingang und ließ seinen Zeigefinger über die Oberkante seines Cognac-Schwenkers gleiten. Ein hoher, anhaltender Ton erklang.
Der siebte Stuhl am hintersten Ende der Theke – neben der Dartscheibe und vor dem Durchgang zu den Toiletten – war noch frei. Mary zog an der Kippe zwischen ihren Lippen und richtete den hellblauen Schal, den sie heute um den Hals trug.
»Ist das nicht der Volvo deiner Mutter, Ed?«, fragte Jeremy.
Edmund beugte sich weiter zu Flo, stoppte die Bewegung aber abrupt ab, als ihm klar wurde, dass ihn Jeremy nur foppen wollte. Genervt sah er zu ihm. »Sehr witzig«, sagte er.
»Finde ich auch.« Jeremy schnalzte mit der Zunge und grinste provozierend zurück.
Auf dem Monitor seiner neuen Minolta blätterte Flo durch weitere seiner letzten Aufnahmen. Auf einem Waldboden lagen benutzte Tempo-Taschentücher. Daneben waren verwitterte Pornohefte zu erkennen, dann ein aus Ästen zusammengezimmerter Sexunterschlag, ein mit Regen gefülltes Kondom, das von einem Tannenzweig hing; trüb stand milchige Flüssigkeit darin.
»Enthüllungsjournalismus, oder was soll das sein?«
Kunibert musste als einziger über seinen Scherz lachen. Das Interesse der anderen verflog zusehends, sie setzten sich wieder aufrecht auf ihre Stühle. Mary atmete Rauch aus und schüttelte nachdenklich den Kopf, was ihre Lockenpracht ins Wippen brachte.
»Deine alt‘n Fotos ham mir besser g‘fall‘n«, sagte sie und deutete mit ihrer Zigarette auf einige gerahmte schwarz-weiß Stadtansichten von Bamberg, die an der Wand hingen.
»Also, allzu originell sind die wirklich nicht«, meinte Kuni.
Flo wechselte einen kurzen Blick mit Jeremy. Beide zogen die Augenbrauen hoch. Der Schauspieler legte seinem Freund die Hand auf die Schulter und knetete aufmunternd seinen Nacken.
»Ach, ihr habt doch keine Ahnung. Diese Aufnahmen haben soziale Brisanz«, sagte er und war dabei, einen seiner Monologe zu beginnen. »Solche Bilder hat Bamberg gar nicht verdient. Das sind Zeitdokumente, eine Chronik der Verzweiflung, ein-«
Die Klinke der Eingangstür quietschte. Ed zuckte zusammen. Bis auf Freddy drehten alle ruckartig ihren Kopf zur Geräuschquelle. Wie in Zeitlupe wurde die Klinke nach unten gedrückt. Die Sehnsucht in den Blicken wuchs. Schwungvoll wurde die Tür aufgestoßen. Ein kollektives Starren, Kinnladen klappten nach unten, Augen begannen zu glänzen: Da stand er.
»Hi guys. I‘m Scott«, sagte ein durchtrainierter, hübsch anzusehender, nicht zu alter und nicht zu junger, vermutlich Halbhawaiianer in US-Army-Uniform. Vielleicht floss auch Apachenblut durch seine Adern. Er stellte sich mit einem breiten Hollywood-Lächeln an die Bar.
»Do you have a …«, mit seinen Modelhänden suchte er nach deutschen Worten, »Kondom … Maschin?«
Den sechs hatte es vollends die Sprache verschlagen. Wie schockgefroren hockten sie da.
»Yes. On se doilet is one«, sagte Mary.
»Awesome«, sagte Scott. »And where is the toilet?« Er zwinkerte in die Runde, doch keiner machte Anstalten, etwas zu erwidern. Mary zuckte mehrmals mit dem Kopf, ihre Jungs sollten sich mal ranschmeißen.
»Will vielleicht aner von euch dem Scott zeig‘n, wo des Klo is?«
Flo nahm seine Kamera herunter. Edmund starrte den GI wie eine Heiligenerscheinung an. Kuni überlegte sich eine Antwort auf Englisch. Freddy schien überhaupt nichts verstanden zu haben. Jeremy führte in Zeitlupe eine Salzstange zum Mund und Raul deutete kaum merklich mit dem Finger Richtung Klo.
Scott schaute zu Mary. »It‘s raid sehr«, sagte sie und wies mit ihrer Zigarette zum Durchgang zu den Toiletten. Als Scott in der Klotür verschwunden war, sah sie auf den traurigen Haufen.
»Oh weh. Meine Herrn. Da sitzen sie da wie die Ölgötz‘n.«
Jeremy knabberte an seiner Salzstange, Kuni überlegte weiter, Edmund stierte auf sein halbleeres Glas Kiba und Freddy hing an ihren Lippen.
»Wie bestellt und ned abg‘holt. Seid ihr noch zu rett‘n? Einmal, wenn was Knusprig‘s durch die Tür kommt.« Sie stellte sich vor Kuni. »Dei Englisch is doch ned schlecht.«
Kunibert nickte abwägend mit dem Kopf und überlegte weiter. »Sagt man im Amerikanischen nicht eher restroom?«
Mary winkte ab und ging einen Schritt zu Flo und Jeremy. »Und was is mit der Jugend?« Sie schüttelte den Kopf. »Wenn ich bloß noch a paar Jahr jünger wär.«
Beide tranken kommentarlos von ihren Bieren.
Das laute Ratschen des Kondomautomaten war zu hören.
»Ja, trinkt euch an Mut an«, sagte sie in die Runde. »Los jetzert, einer werd doch irgendwas unternehmen.«
Scott kam zurück in den Gastraum. Er wedelte mit einer Kondompackung in seiner Hand und ging im Rücken der sechs zum Ausgang. Edmund folgte ihm mit den Augen.
»The restroom is on your right-hand side opposite the dartboard, Scott«, sagte Kuni und fügte schnell hinzu: »But you found it already. Yes?«
»Yes.«
Scott schenkte Kuni ein ganz persönliches Zwinkern. Für einen Moment spielte er mit der Packung in seiner Hand. Die Luft war zum Schneiden, als die monotone Melodie des Geldspielautomaten einsetzte.
»Okay guys, thanks a lot.«
Edmund verdrehte seinen Kopf und lehnte sich nach hinten, um ihn weiter anstarren zu können.
»Have a nice one.« Scott griff an die Türklinke.
»Goodbye, Scott«, sagte Mary.
Scott wedelte ein letztes Mal mit der Kondompackung. Er und sein hübscher Hintern verließen das »Pausenstübla«. Sogar die Klinke quietschte sexier als sonst. Kuni entfuhr ein Seufzer. Edmund fiel samt seinem Hocker um. Mary blies geräuschvoll Rauch zur Seite und drückte ihre Zigarette im Aschenbescher aus.
»Ihr seid mer so trübe Tassen. Mer könnt meinen, ihr seid alle scho in fest‘n Händ‘n.«
Kuni haute sich mit der flachen Hand auf die Stirn. Ed stellte den Hocker wieder hin und setzte sich auf seinen Stammplatz, während Flo seine Minolta hochnahm und Jeremy weitere Aufnahmen zeigte.
»Da schau‘n sie sich Fotos an. Meint‘er, da findet ihr euern Traumprinzen? Auf‘m Klohäusla?« Mary schüttelte weiter den Kopf. »Also, wer dartet a Runden mit?«
Freddy wollte schon aufspringen, aber sie hob gebieterisch die Handfläche nach oben. »Sei mer ned bös, aber mit dir ist mer‘s zu langweilig.«
Verlegen nippte Freddy von seinem Cognac und blickte zur Seite. Keiner der anderen hatte Lust. Mary steckte sich eine neue Zigarette an und sah noch mal auf die sechs Jungs, als ein Grinsen ihre Mundwinkel umspielte. Sie schob den Perlenvorhang im vorderen Tresenbereich zur Seite und verschwand in der Küche, die sich dahinter befand.
»Wo ise die Rastplatse nochema?« fragte Raul Flo.
»A70.«
»Geht jemand zum nächsten Heimspiel?«, fragte Freddy in die Runde. »Gibt‘s doch schon längst ka Karten mehr«, antwortete Edmund und stierte dabei auf die Glasregale mit den Spirituosen, als wollte er die dort stehende Kompaktanlage hypnotisieren. Der nächste Discohit untermalte die Tristesse. Kuni seufzte erneut und leerte sein Pils mit einem Schluck. »Noch eins bitte«, sagte er. Erst da bemerkte er, dass Mary nicht mehr hinter der Bar stand. Ihre Kippe qualmte im Aschenbecher vor sich hin. Er beugte sich über die Theke und prüfte, ob sie vor dem Kühlschrank kniete. »Mary?«
Vielleicht holte sie etwas aus dem Vorratskeller.
»Aber Eurosport überträgt die Spiele alle live«, sagte Ed zu Freddy, in dessen Rücken die Türklinke eindringlich quietschte. Wie auf Kommando wandten alle ihren Kopf um und schauten erwartungsvoll zum Eingang. Langsam schwang die Tür auf. Ein kräftiger Herr in Wildlederjacke mit hochgestelltem Hemdskragen und Ballonmütze stand im Rahmen. Der Mann machte ein paar Schritte in den Raum und drehte sich einmal um sich selbst. Die Jungs glotzen sich gegenseitig mit offenen Mündern an. Da hob die vollschlanke Person den Kopf, ein geschminktes Gesicht kam zum Vorschein, ein hellblauer Schal, smaragdgrüne Augen. Mary konnte nicht mehr an sich halten. Sie brach in ein schallendes Gelächter aus.
»Hahaha. Der gespielte Witz. Hahahaha.« Sie drehte sich ein weiteres Mal. Eine ihrer Locken, die sie sich unter die Mütze gesteckt hatte, rutschte ihr ins Blickfeld. Sie nahm ihre Kopfbedeckung ab und strich die Locke zur Seite. Als sie in die verdutzten Gesichter ihrer Stammgäste sah, bekam sie einen Lachanfall.
»Ein Anblick für die Götter«, sagte sie halb verschluckt. »Ihr müssert euch mal seh‘n. Hahahaha.«
Einer nach dem anderen tauten die sechs auf und stimmten mit ein. Selbst Edmund konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Mary bog sich vor Lachen, hielt sich den Bauch, kriegte sich überhaupt nicht mehr ein. Dann gab sie ein hyperventiliertes Glucksen von sich, stützte sich auf einen der Tische am Fenster, kam ins Wanken, ein Knie knickte ihr weg und sie krachte bewusstlos zu Boden.
»Mary!«, rief Freddy.
»Nicht schon wieder«, sagte Jeremy.
Freddy wollte zu ihr rennen, aber Flo hielt ihn zurück.
»Hol lieber eine von ihren Ampullen.«
Sofort eilte Freddy um die Bar in die Küche. Flo kniete sich über Marys massigen Körper und rückte ihre verrutschte Perücke zurecht. Zum Glück war sie sanft gefallen und hatte sich nirgendwo angeschlagen. Als Freddy zurückkam, hob Flo ihren Kopf hoch, Freddy knickte die Ampulle auf und flößte ihr den Inhalt ein.
»Mary«, sagte er und tätschelte ihr die Wangen.
Sie blinzelte und kam langsam zu sich.
»Unde? Gehte wieda?«
Mary schaute in die besorgten Mienen ihrer Jungs, die um sie herumstanden. »Freilich. Alles baletti.«
Auf ein Knie gestützt versuchte sie sich wieder aufzurichten. Mit Eds Hilfe schaffte sie es schließlich. Sie überprüfte den Sitz ihrer Frisur, zog die Wildlederjacke aus und atmete durch. »Des war ein Späßla.« Noch etwas unsicher auf den Beinen ging sie zurück hinter den Tresen.
»So, jetzt kriegt jeder erstmol an Aufguss aufs Haus.«
Die sechs setzten sich wieder auf ihre Plätze. Jeremy trank sein Bier so schnell aus, dass es ihm vom Kinn tropfte. Auch Raul kippte den Rest seines Weißweins, an dem er schon eine Stunde lang genippt hatte, hinunter. Der nächste Tanzschlager erklang, und nachdem sie allen nachgefüllt hatte, drehte Mary die Lautstärke etwas nach unten.
»Hab ich euch überhaupt scho mal erzählt, wie ich in dem kleinen Club in der Kölner Altstadt aufgetret‘n bin und die Polizei den Laden g‘stürmt hat?«
Die Jungs diskutierten, ob ja oder nein oder vielleicht irgendwann einmal. Florian packte seine Minolta weg. Mary leerte den Aschenbecherinhalt in den Mülleimer. Ihr Feuerzeug klickte, sie warf einen liebevollen Blick auf ihre Stammgäste und entzündete sich eine weitere Zigarette.
»Also, des war …«, sie überlegte, »… naja, ein paar Jahr is es scho her«, sagte sie und erhob ihr Glas: »Aber erstmal: Prost.«
Alle stießen mit ihr an, bereit ihren Worten zu lauschen.
(…)
Rot
Orange
(…)
Er war einmal der Kommandant eines raketenbetriebenen, intergalaktischen Raumschiffes. Auch wenn er nur im Kreis flog, keine fünf Meter über den Pflastersteinen am Kranen, schwebte sein Kopf hoch oben in den Sternen. Besonders bei Dunkelheit war er völlig losgelöst. Mit dem Hebel ganz nach hinten gedrückt schien sein silbermetallic glänzender Sternenkreuzer höher zu fliegen als die der anderen.
Es musste am Abschlusstag der Sandkerwa gewesen sein, kurz vor dem Hochfeuerwerk. Die bunten Lichterketten spiegelten sich im Wasser, in der rabenschwarzen Regnitz. Der Duft von Popcorn und gebrannten Mandeln lag in der Luft, der Fahrtwind nahm zu. Da hörte er im Raumschiff, das vor ihm seine Kreise zog, zwei Mädchen in einer fremden Sprache sprechen. Wie aufregend er es fand, dass er sie nicht verstand. Wie er sich umgehend ihr Herkunftsland vorstellte. Wie ein Kurztrip, der nur zwischen seinen Ohren stattfand. Im Raketenkarussell, im intergalaktischen.
Gelb
Er war einmal total begeistert von Bamberg gewesen. Nach seiner Ankunft beeindruckte ihn erst die Architektur und ihre Eigenheiten. Bald gefiel ihm auch die Kultur, das Urige, die Bräuche. Dann war es das Schrullige an den Leuten, das ihn willkommen hieß, ihre Freundlichkeit, die man manchmal erst herauskitzeln musste, killekille.
Hätte er seine Schwester damals nicht zur Adventszeit besucht, wäre sein Leben ganz anders verlaufen. Er hätte niemals auf dem Maxplatz seinen ersten Weihnachtsmarkt erlebt und wäre nicht hierhergezogen. Aber so verliebte er sich in den Winter, auch wenn er fror, auch wenn er klobige Stiefel tragen und seine Brustbehaarung verdecken musste; dazu die langen Unterhosen von November bis April. So kalt wurde es in Portugal nie. Alle zehn Jahre schneite es mal ein wenig. Dann gingen alle raus auf die Straße und machten eine Schneeballschlacht. Nur blieb die weiße Pracht keine Stunde lang liegen und war ein kurzes Vergnügen. Hier im Süden Deutschlands gab es noch eine Schneefallgarantie, Zuckerguss auf Wipfeln und Dächern, romantisch gepuderte Wiesen und goldene Gassen. Es war unfassbar.
Und er verguckte sich noch in etwas anderes auf dem Weihnachtsmarkt: Die fränkischen Männer. Viele waren mit ihren Familien unterwegs, aber es gab auch die vermeintlichen Singles. Denn das war das Hauptkriterium, das sein Zukünftiger erfüllen musste. Er sollte weder verheiratet, noch verpartnert sein. Raul wollte seinen Prinzen ganz für sich.
Ja, zum ersten Mal in seinem Leben fand er die Männer eines Landes deutlich attraktiver als die Frauen. Er stand einfach auf weiße Mitteleuropäer, auf Deutsche und am meisten auf Franken.
(…)
Grün
Blau
Violett
Bunt